Die Erwartungen an Hochschulen steigen. Eine internationale Studie der Körber Stiftung zeigt: Hochschulen sollen neben Lehre und Forschung vermehrt Beiträge zur Gesellschaft leisten.
Der Forderungskatalog an die Hochschulen ist lang: Sie sollen Hochschulbildung für eine wachsende Zahl an Studierenden bereitstellen, neue soziale Gruppen für ein Studium gewinnen und veränderte Arbeitsmarktbedarfe bedienen. Gleichzeitig soll international konkurrenzfähige Forschung zur Lösung globaler Zukunftsfragen beitragen und eine anwendungsorientierte Forschung die Wirtschaft an ihrem regionalen Standort stärken.
Diese steigenden, teils widersprüchlichen Erwartungen an die gesellschaftliche Relevanz von Hochschulen sind global zu beobachten, unterscheiden sich in ihrer Ausprägung aber von Land zu Land. Auch in Deutschland sind Hochschulen mit diesen steigenden Anforderungen konfrontiert.
Zu diesem Ergebnis kommt die von der Körber-Stiftung in Auftrag gegebene Studie »The Place of Universities in Society« von der Universität Oslo, die das dritte im Juni 2019 stattfindende Global University Leaders Council Hamburg vorbereitet.
Politische und rechtliche Rahmenbedingungen oft unklar:
Die Studie vergleicht die gesellschaftlichen Bezüge ausgewählter Hochschulen in sechs Ländern: Deutschland, Kanada (Ontario), Chile, Großbritannien (England), Japan und Südafrika. Zur Veröffentlichung der Studie kamen gestern Expertinnen und Experten aus Hochschulen, Ministerien und Wissenschaftsorganisationen in Berlin zusammen, um die zentralen Herausforderungen für Deutschland zu diskutieren.
»In den meisten Ländern sind die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich der gewünschten Beziehung von Hochschulen und Gesellschaft unklar«, so Peter Maassen, Professor an der Universität Oslo und Leiter der Studie. »Zusätzlich ist die öffentliche Finanzierung für eine Weiterentwicklung der Strategien und Aktivitäten in diesem Bereich nicht ausreichend, sodass Hochschulen allgemein nur begrenzte Kapazitäten haben, sich hier zu professionalisieren.«
Zentrale Ergebnisse der Studie im Überblick:
Gesellschaftliche Anforderungen an Hochschulen wachsen weltweit
In vielen Ländern steigen die Erwartungen der Politik an die Hochschulen. Entsprechend bauen diese ihre Aktivitäten aus, um auf die Anforderungen einzugehen und neben Forschung und Lehre auch ihre Beziehung zur Gesellschaft zu entwickeln. Die Summe dieser Maßnahmen in den Bereichen Weiterbildung, Wissens- bzw. Erkenntnis- und Technologietransfer sowie gesellschaftlichen Engagements wird vielerorts als „Dritte Mission“ – third mission – bezeichnet. Auch in Deutschland ist die Beziehung zur Gesellschaft über die letzten zehn Jahre stärker in den Fokus der Hochschulen gerückt. Sie erreichen dabei, so die Studie, jedoch noch nicht den Grad an wirksamer Institutionalisierung wie Hochschulen im angelsächsischen Raum.
Fokus des Wissenstransfers auf Privatwirtschaft und Industrie:
Der Schwerpunkt der third mission-Aktivitäten liegt auf dem Austausch zwischen Hochschulen, Privatwirtschaft und Industrie. Initiativen mit sozialem Fokus werden dagegen allgemein unter »Engagement« gefasst und sind eher schwach institutionalisiert. Dies gilt auch für Deutschland, wo der Wissenstransfer in Form von Industriekooperationen gut institutionell verankert ist und systematischer stattfindet, als im Bereich des zivilgesellschaftlichen Engagements.
Nationaler Kontext entscheidend für die gesellschaftliche Einbindung der Hochschulen:
Auch vor dem Hintergrund einer zunehmend globalisierten Wissenschaftslandschaft bleibt der jeweilige nationale Kontext zentral für die Erwartungen, die an die Hochschule als gesellschaftliche Institution gerichtet werden. Ausgenommen sind hier international orientierte Forschungsuniversitäten, die sich eher im weltweiten Wettbewerb mit anderen Spitzenuniversitäten entwickeln.
Die Herausforderungen in Deutschland liegen in der unzureichenden Finanzierung sowie den relativ starren und komplexen rechtlichen Rahmenbedingungen, wie strikte Regulierungen etwa im Bereich der Finanzierungsmöglichkeiten, der Publikationsrechte und der Nutzung von Forschungsergebnissen. Verhandlungen mit externen Partnern sind dadurch oft mit einem hohen Verwaltungs- und Kostenaufwand verbunden. Auch verfügen die einzelnen Lehrstühle in Deutschland über einen besonders hohen Grad an Autonomie; Engagement im sozialen Bereich bleibt auf die freiwillige Initiative einzelner Hochschulangehöriger beschränkt. Gleichzeitig erschwert diese Situation laut den Autoren der Studie eine Systematisierung der Aktivitäten durch die Hochschulen.
Innovative Ansätze vor allem in der Lehre:
Wenn es um Innovationen im Verhältnis von Hochschule und Gesellschaft geht, so sind diese vor allem in der Lehre zu finden, wie etwa der Nutzung digitaler Technologien oder der Einführung neuer pädagogischer Ansätze. Diese tragen dazu bei, neue Bevölkerungsgruppen und -schichten für die Hochschulbildung zu gewinnen, Abbrecherquoten zu senken und Studierende auf den sich wandelnden Arbeitsmarkt vorzubereiten. Das gilt auch für Deutschland: »Bildungsinnovationen sind wichtig an deutschen Hochschulen, bestehen aber hauptsächlich aus pädagogischen Veränderungen und dem Gebrauch digitaler Technologien, weniger aus der Anpassung der Curricula an gesellschaftlichen Wandel« so Studienleiter Maassen.
In der Forschung sind innovative Ansätze, die auf das Verhältnis zur Gesellschaft abzielen, sowohl in Deutschland als auch weltweit weniger verbreitet als in der Lehre. »Eine oftmals strikte disziplinäre Organisation der Hochschulen steht neuen, wahrhaft multidisziplinären Forschungsaktivitäten entgegen«, erklärt Maassen.
Über die Studie
Die Studie »The Place of Universities in Society« wurde vom Department of Education der Universität Oslo, unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Peter Maassen durchgeführt. Die Autoren analysieren das Verhältnis von Universität und Gesellschaft in sechs Ländern anhand fünf oder sechs ausgewählter Hochschulen. Im Rahmen des Deutschland-Kapitel wurden die LMU München, die RWTH Aachen, die TH Köln, die Universität Duisburg-Essen sowie die Universität Heidelberg betrachtet. Für die Untersuchung wurden öffentlich zugängliche Strategiepapiere, Mission Statements und weitere Dokumente der Hochschulen ausgewertet. Zusätzlich wurden öffentlich verfügbare Daten etwa des statistischen Bundesamtes und weitere Studien hinzugezogen, Mitglieder der Hochschulleitungen befragt und Experten konsultiert.
Die Studie bereitet das dritte im Juni 2019 stattfindende Global University Leaders Council Hamburg vor. Dieses bringt Präsidentinnen und Präsidenten führender Forschungsuniversitäten aus der ganzen Welt in Hamburg zusammen. Das Council ist eine gemeinsame Initiative der Hochschulrektorenkonferenz, der Körber-Stiftung und der Universität Hamburg. Zentrales Anliegen ist es, den Prozess der weltweiten Hochschulentwicklung bewusst zu gestalten.