Im Rahmen ihrer interdisziplinären Tagung zum Thema „Wissen, Macht und digitale Transformation in Lateinamerika“, die vom 4.-6. Juni 2020 im Konferenzzentrum der Hanns-Seidel-Stiftung in München stattfindet, lädt die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerikaforschung (ADLAF) zur Einreichung von Präsentationsbeiträgen ein. Die Kurzfassungen (max. 200 Wörter) sollten zusammen mit Angaben zur Person der Autorin/des Autors (max. 500 Zeichen) bis zum 30. September 2019 an die Emailadresse adlaf-2020@ku.de geschickt werden. Die Auswahl und Information der Referent*innen erfolgt bis Ende Oktober 2019. Sie ist nicht mit einer Zusage für die Finanzierung etwaiger Reise- und Aufenthaltskosten durch die ADLAF verbunden.
Der Umgang mit der Ressource Wissen stellt eines der brisantesten und meist diskutierten Themen unserer Gegenwart dar. Bei den global geführten Debatten und Konflikten um die Verwertbarkeit, den Transfer, die Monopolisierung bzw. Demokratisierung und Diversifizierung von Wissen geht es stets auch um Fragen gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Macht. So ermöglichen neue Technologien und Medienformate einerseits einen verbesserten Zugang zur Ressource Wissen und damit ein höheres Maß an Partizipation für breitere Bevölkerungsschichten. Gleichzeitig fördert die Inwertsetzung von Wissen durch globale Konzerne, z.B. durch (illegale) Datenbeschaffung oder die Beanspruchung und Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte, die Bildung von Wissensmonopolen, die kommerziellen Zwecken dienen und soziale Ungleichheiten verschärfen.
Diese auch für Lateinamerika in höchstem Maße relevanten Themen werden auf der Tagung durch einen Aspekt ergänzt, der die Produktion, Transformation und Speicherung von Wissen stärker vor einem wissenschaftlich-kulturellen Hintergrund reflektiert. Dabei stehen einerseits Fragen der Digitalisierung und der digitalen Transformation im Vordergrund, die unter dem Schlagwort Digital Humanities bzw. Digital Turn in den letzten Jahren zum key issue in den Geistes- und Sozialwissenschaften avancierten. Andererseits legt die kulturelle und sprachliche Diversität Lateinamerikas aber auch eine grundsätzliche Hinterfragung europazentrierter Epistemologien nahe. Erwünscht ist daher die Auseinandersetzung mit den vielfältigen Artikulationen von Wissen seitens unterschiedlicher Akteure und den Dynamiken der Wissensproduktion in kolonialen und postkolonialen Kontexten. Bezogen auf alle genannten Aspekte stellt sich die Frage, ob und inwiefern das Verhältnis von Wissen, Macht und Digitalisierung in Lateinamerika einen Sonderfall darstellt oder ob hier globale Trends abgebildet werden.
Die ADLAF-Tagung 2020 bietet eine Plattform für Akteure aus Wissenschaft, Kultur, Politik und Wirtschaft, um solche Fragen interdisziplinär zu diskutieren und damit auch den Dialog zwischen der Wissenschaft und außeruniversitären Institutionen zu stärken. Wir laden alle Interessierten dazu ein, Vorschläge zu den folgenden drei Themenfeldern einzureichen:
1. Wissensproduktion – Wissenstransfer – Wissensmonopole
Im Rahmen dieses Themenfeldes geht es zunächst um die Frage, welche Wissenskonzepte in Lateinamerika verwendet werden. Dabei interessiert beispielsweise das Verhältnis zwischen akademischem Wissen und traditionellem bzw. indigenem Wissen. Prozesse der Produktion, Aneignung, Übersetzung und Adaption von Wissen spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.
Zentrale Leitfragen lauten:
* Wir wird Wissen in Lateinamerika produziert? Wie wirken sich gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen auf die Produktion von theoretischem und empirischem Wissen aus?
* Wie wird Wissen transferiert und in Wert gesetzt, beispielsweise in Landwirtschaft und Agrarpolitik und im Dienstleistungsbereich?
* Welcher Umgang erfolgt mit traditionellem bzw. indigenem Wissen?
* Welche Chancen und Risiken ergeben sich durch die digitale Transformation, beispielsweise die Entschlüsselung und Inwertsetzung der genetischen Ressourcen des Amazonas?
* Wie frei/ beschränkt bzw. gleich/ ungleich ist der Zugang zu Wissen? Wer bestimmt darüber? Wie können durch Partizipation, Teilhabe und Dezentralisierung von Wissen Demokratisierungsprozesse gefördert werden?
* Wie verändern sich wissenschaftliche Disziplinen, Methoden und Arbeitsweisen im Zuge der digitalen Transformation (Stichworte Digital Turn, Digital Humanities)?
* Welche Wissensmonopole bestehen? Wie wirkt sich dies auf soziale Ungleichheiten aus?
* Welchen Platz nimmt Lateinamerika in der globalen Wissensökonomie ein? Wir wirkt sich die digitale Transformation (z.B. Open Access Publishing) auf bestehende Asymmetrien, Ungleichheiten und Dichotomien zwischen Zentren und Peripherien aus?
* Welche Konsequenzen ergeben sich aus der digitalen Transformation für das Verhältnis zwischen lokalen und „globalen“ Wissensordnungen?
* Wie werden räumliche Ordnungen durch Verbreitung hegemonialen Wissens (re)produziert? Inwiefern können alternative Formen der Wissensproduktion und des Wissenstransfers diese Ordnungen hinterfragen?
* Welche Rolle kommt Kulturinstitutionen wie Museen, Bibliotheken und Archiven im Kontext der Wissensproduktion und des Wissenstransfers zu?
2. Wissen – Medien – Macht
Im Rahmen dieses Themenfeldes geht es um das Verhältnis zwischen Wissen und Macht, insbesondere um die Frage, wie gesellschaftliche und politische Akteure in Lateinamerika mit Wissen umgehen und inwiefern sich durch die digitale Transformation Machtverschiebungen ergeben.
Zentrale Leitfragen lauten:
* Welche Chancen und Risiken ergeben sich aus der digitalen Transformation für die Demokratie in Lateinamerika? Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang traditionelle Medien und neue soziale Medien?
* Welche Chancen und Risiken ergeben sich aus der wachsenden Mobilität von Informationen?
* Wie entwickeln sich die Machtverhältnisse zwischen traditionellen und neuen sozialen Medien?
* Wie verändern sich die Handlungsspielräume zivilgesellschaftlicher Akteure durch die digitale Transformation? Inwiefern werden Meinungsfreiheit und –vielfalt durch Kontroll- und Abhörmöglichkeiten gefährdet (Stichwort Shrinking Spaces)?
* Wie nutzen gesellschaftliche und politische Akteure (Regierungen, Parteien, soziale Bewegungen, etc.) die Möglichkeiten, die sich durch die Entwicklung neuer Medien ergeben? Wie verändern sich diese Akteure selbst im Zuge der digitalen Transformation?
* Inwiefern können alternative – z.B. kommunale – Medien die Deutungshoheit großer medialer Akteure herausfordern?
* Welche (sicherheits)politischen Herausforderungen (z.B. Cybersecurity, Einmischung von Hackern in Wahlkampagnen, Fake News) ergeben sich aus der digitalen Transformation? Wie gehen die verschiedenen Akteure damit um?
* Welche Rolle spielt Lateinamerika im Rahmen der digitalen Innovation im weltweiten Vergleich und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Position der Region im globalen Machtgefüge?
* Welche Bedeutung kommt Prozessen wie Data Mining und Big Data in Lateinamerika zu? Wie werden die damit verbundenen rechtlichen, epistemologischen, ethischen und praktischen Aspekte diskutiert?
* Welche Herausforderungen ergeben sich für weitere Politikfelder, beispielsweise für die Zukunft der Arbeit oder die Entwicklung der Justizsysteme?
* Welche Konsequenzen ergeben sich aus der digitalen Transformation für die Arbeitsmärkte in Lateinamerika??
3. Dynamiken des Wissens – Kulturelle Perspektiven
Dieses Themenfeld ist den kulturellen und historischen Dimensionen der Produktion, Verbreitung und Aneignung von Wissen in Lateinamerika gewidmet. Dabei geht es um die Wechselwirkungen zwischen Akteuren, Medien und Institutionen bei der Produktion von Wissen.
Zentrale Leitfragen lauten:
* Welche Rolle spielen kulturelle Kontakte, Transkulturationsprozesse, Migration, koloniale und postkoloniale Effekte im Hinblick auf die Produktion, Verbreitung und Aneignung von Wissen in Lateinamerika?
* Welche Auswirkungen haben die Kämpfe um das Recht auf Wissen auf die Gedächtnispolitik, die Bewahrung des kulturellen Erbes und die Bildung?
* Welche literarischen und künstlerischen Entwürfe und Gegenentwürfe zu Wissens- und Machtdispositiven zeigen sich in der aktuellen lateinamerikanischen Produktion?
* Wie wird die digitale Transformation in Literatur, Film, Performance und Bildender Kunst inszeniert?
* Mit welchen Mitteln und Strategien generieren bzw. artikulieren gesellschaftliche Akteure eigenes Wissen, das nicht mit den hegemonialen Epistemologien bzw. herrschenden Wissensordnungen korrespondiert oder mit diesen in Konflikt steht?
* Mit welchen theoretischen und methodologischen Konzepten wird die interpretative Vorherrschaft europazentrierter Wissenskonzepte kritisch reflektiert?
* Welche Rolle spielen Sprachen und Übersetzungsprozesse bei der Übertragung, Aneignung und Interpretation von Wissen?
Als interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft ist die ADLAF besonders an Vorschlägen interessiert, die über eng begrenzte disziplinäre Perspektiven hinausgehen und versuchen, am konkreten Gegenstand verschiedene Perspektiven zu integrieren.