Der Klimawandel nimmt immer größeren Raum im öffentlichen Diskurs ein. Klimakonferenzen, Klimaaktionspläne und vor allem die „Fridays for Future“-Bewegung stehen auf der einen Seite; auf der anderen Seite formiert sich Aufbegehren von Klimaleugner*innen gegen eine vermeintliche „Klimahysterie“ und staatliche „Regulierungswut“. Klima-Aktivist*innen entdecken für sich hierbei die Protestform des Streiks als probates Mittel zur Durchsetzung von Klimazielen oder versuchen, den Kohleausstieg politisch zu erzwingen.
Parallel hierzu warnen Wissenschaftler*innen immer deutlicher vor den Konsequenzen eines Weiter-So und den Gefahren einer zu langsamen Transformation in eine Zero-Emission-Gesellschaft: Vor dem Abschmelzen der Polkappen, dem Anstieg der Meeresspiegel, der Zunahme von Extremwetterlagen, Desertifikation und Wassermangel, dem Verlust von Biodiversität und vielem anderen mehr. Menschliche Habitate, so die Klimaforschung, würden unbewohnbar, wirtschaftliche, politische und vor allem humanitäre Krisen absehbar. Dabei tut sich im Zeitalter des Anthropozäns eine Schere auf zwischen imperialer Lebensweise der Verursacher*innen im Globalen Norden und vulnerablen Gesellschaften im Globalen Süden, die die Konsequenzen des Klimawandels in erster Linie zu tragen haben. Die ersten Klimaflüchtlinge befinden sich bereits auf dem Weg in gemäßigtere Zonen und Millionen weitere Menschen drohen absehbar ihre Heimat verlassen zu müssen.
Politiken und Governance-Strategien werden entwickelt, die unsere Alltagspraxen verändern und der Klimawandel greift von daher immer mehr in unsere Lebenswelten und damit auch in den emotionalen Haushalt der Subjekte ein. Der Besitz identitätsstiftender Objekte, wie z.B. der eines eigenen Autos, werden ebenso unter Klimavorbehalt gestellt, wie bestimmte Ernährungsgewohnheiten oder der Flug in den Urlaub. Gleichzeitig verändern sich Gesellschaften bereits durch erste Konsequenzen aus der globalen Erwärmung. Menschliche Lebensräume müssen wegen steigender Meeresspiegel aufgegeben werden, Dürre-Sommer stellen die Landwirtschaft vor erhebliche Herausforderungen und es drohen neue Konflikte um sauberes Wasser und fruchtbares Land.
Im Globalen Norden wie auch im Globalen Süden entwickeln sich unterschiedliche, dominante Strategien: Einerseits ist man bemüht, die wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig und klimaneutral zu gestalten, andererseits wird mit einem demonstrativen Weiter-So und Blick auf kurzfristiges wirtschaftliches Wachstum die Abwehr menschlicher Verantwortungsübernahme für Klimakrisen betrieben. Entsprechend hat sich auch der Diskurs über den Klimawandel in jüngerer Zeit verändert: von einem wissenschaftlichen Fach-, beziehungsweise politischen Nischendiskurs hin zum dominanten Nachhaltigkeitsthema. Der Klimadiskurs dient als Vehikel vielfältiger sozial-ökologischer Probleme, während gleichzeitig das Risiko besteht, dass andere Krisenszenarien (der Verlust von Biodiversität, soziale Ungleichheit oder Probleme moderner Intensiv-Agrikultur) zu Fußnoten des aktuellen Klimadiskurses werden, denn er reiht sich damit – nach der Diskussion über Überbevölkerung, das Waldsterben, die Atomkraft, die nukleare Bedrohung oder das Ozonloch – in die Reihe dominanter, sozial-ökologischer Katastrophennarrative ein.
Das Spektrum der Bezugnahmen auf den Klimawandel reicht hierbei von apokalyptisch-dystopischen, über technokratisch-steuerbare bis hin zu utopisch-visionären Erzählungen. Alle diese unterschiedlichen Narrative sind eng an das ihnen zugrunde liegende Wissenschaftsverständnis geknüpft. Auf der einen Seite lässt sich ein Erstarken antiaufklärerischen und antiintellektualistischen Denkens beobachten, das nicht im Klimawandel selbst, sondern in der Warnung davor und der Aufforderung zum Handeln eine Bedrohung der eigenen Lebensform sieht. Auf der anderen Seite steht die verkürzte Überzeugung, dass aus wissenschaftlicher Erkenntnis unmittelbar auf die richtigen politischen Maßnahmen geschlossen werden könne. Von Klimawandel und Problemlösungskompetenz der Wissenschaft überzeugt, erscheint die Gegnerschaft zu Klimaschutzpolitiken dann als mangelnde Einsicht in die eine politische Wahrheit, was den Spielraum für legitime Interessenabwägungen erheblich einschränkt.
Mit „Fridays for Future“ hat sich bei alldem ein Generationenwechsel in den sozialen Bewegungen vollzogen. Bewegungen mit primärem Fokus auf die Zukunft des Weltklimas gewinnen zunehmend an gesellschaftlicher und politischer Bedeutung. Ihre Strategien orientieren sich dabei einerseits an tradierten Aktionsformen, andererseits handelt es sich hier um die erste Kohorte politischer Aktivist*innen, die mit den Möglichkeiten neuer Kommunikationsformen in den sozialen Medien aufgewachsen ist und diese wie selbstverständlich zur Mobilisierung und Verbreitung ihrer Botschaften nutzt. So verschieben sie die Gewichte im politischen System, während sie erhebliche Zumutungen an das individuelle Verhalten einfordern. Die soziologischen Perspektiven auf diese klimapolitischen Zuspitzungen sind vielfältig und viele Fragen der Nachhaltigkeitssoziologie lassen sich ohne Bezüge zum Thema Klimawandel kaum noch beantworten.
Deshalb beschäftigt sich der fünfte Call for Papers der SuN mit dem Thema „Klima der Nachhaltigkeit – Klima in Bewegung“ unter Berücksichtigung unter anderem folgender Fragen:
* Welche sozialen Ursachen, Bedingungen und Folgen hat der Klimawandel? Welche Herausforderungen stellt er an Governance?
* Auf Grundlage welcher Legitimation finden politische Eingriffe zum Einhalten von Klimazielen statt?
* Wie stellen sich Gesellschaften, Organisationen und Subjekte auf den Klimawandel und seine Konsequenzen ein?
* Wie verändern sich durch den Klimawandel Alltagspraktiken und Lebensformen?
* Welche Implikationen hat er für Fragen sozialer Ungleichheit? Wie wird sich Migration vor diesem Hintergrund verändern, wie die Demokratie als politisches System?
* Welche Veränderungen im Nachhaltigkeitsdiskurs sind im Hinblick auf den Klimawandel zu beobachten?
* Wie verhält sich das Thema Klimawandel in Relation zu anderen Themen des Nachhaltigkeitsdiskurses?
* Welches sind die zentralen Narrative des Klimadiskurses und welche Position nimmt die Wissenschaft im Diskurs über den Klimawandel ein? Wie verändert der Klimawandel politische Diskurse insgesamt?
* Welche Narrative (re)produzieren Leugner*innen des Klimawandels, welche die Klimaschutzbewegung?
• Wie verhalten sich Klimaproteste zu anderen Themen der neuen sozialen Bewegungen und wie verändert der Klimawandel die Praxis sozialer Bewegungen? Was unterscheidet die aktuellen Klimaproteste von früheren Protestformen der Nachhaltigkeitsbewegung?
* Wer protestiert in welcher Form gegen den Klimawandel und wer nicht?
* Wie werden neue Technologien und soziale Medien von sozialen Bewegungen verwendet? Welche Wirkung erzeugen Klimaproteste in Politik, Wirtschaft und (medialer) Öffentlichkeit?
* Welche Gegenbewegungen sind gegen Klimaproteste zu beobachten?
Interessierte sozialwissenschaftliche Forscher*innen sind eingeladen, bis zum 31. Oktober 2019 einen Abstract von maximal 500 Wörtern zum Themenfeld „Klima der Nachhaltigkeit – Klima in Bewegung“ einzureichen. Dabei sind sowohl theoretische als auch empirische Beiträge erwünscht.
Die SuN ist eine Online-Zeitschrift mit Peer-Review-Verfahren, deren Ziel es ist, sozialwissenschaftliche Perspektiven in der Nachhaltigkeitsforschung zu bündeln und zu fördern. Weitere Informationen zur SuN finden sich unter: https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/sun
Institut für Soziologie der Universität Münster
Soziologie und Nachhaltigkeit
Redaktion: Niklas Haarbusch
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