20.11.2020: Intensivkonferenz „Wissenschaftssprachen und Kollektivität – Fragen an die Sprachlichkeit von Wissenschaft in Zeiten der Globalisierung“ an der Forschungstelle Kultur- und Kollektivwissenschaft der Universität Regensburg

Die Forschungsstelle Kultur- und Kollektivwissenschaft an der Universität Regensburg veranstaltet in Kooperation mit dem Zentrum für Europäische Bildung (Universität Zagreb, Kroatien) am 20. November 2020 eine Intensivkonferenz mit dem Schwerpunkt „Wissenschaftssprachen und Kollektivität – Fragen an die Sprachlichkeit von Wissenschaft in Zeiten der Globalisierung“. Aufgrund der Unwägbarkeiten der Corona Pandemie ist der Veranstaltungsort (virtuell oder Präsenz vor Ort) noch nicht im festgelegt. Nähere Informationen erfolgen im Laufe der nächsten Wochen dann entsprechend zeitnah.

 

Sollte Englisch die globale Sprache der Wissenschaft sein, oder ist die Mehrsprachigkeit von Wissenschaft beizubehalten bzw. wiederherzustellen? Diese Frage wird kontrovers diskutiert.

Tatsächlich ist die Anglophonisierung der Wissenschaft bereits weit vorangeschritten. In zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen, etwa den Naturwissenschaften, den technischen Wissenschaften, der Ökonomie und der Medizin ist es geradezu zu einem anglophonen Sprachwechsel gekommen, in denen Nationalsprachen als Publikations- und Kommunikationssprachen kaum noch eine Rolle spielen. Nicht muttersprachlich anglophone Forschende, die diesen Sprachwechsel vollziehen, versprechen sich internationale Sichtbarkeits-, Partizipations- und Rezeptionsgewinne sowie Zugang zu einem weltumspannenden Wissenschafts- und Publikationsmarkt. Vorangetrieben wird diese wissenschaftssprachliche Entwicklung durch die Herausbildung der „unternehmerischen Universität“ und einer marktorientierten Restrukturierung des akademischen Feldes. Systemisch steuert diese Entwicklung auf Englisch als einzige Wissenschaftssprache zu, weil andere Sprachen die internationale Sichtbarkeit und damit auch die Markt-, Gewinn- und Aufstiegschancen im globalen Ranking der Universitäten um ein Vielfaches verringern würden. Wesentliches Steuerungsinstrument dieser anglophonen Neuausrichtung der Universität ist die Vermessung der Qualität von Wissenschaft nach Höhe ihres Impacts auf Basis von anglophon dominierten Zitationsindizes und Rankingsystemen. Den vorläufigen Schlusspunkt dieser Entwicklung bildet die zunehmende Anzahl englischsprachiger Studiengänge außerhalb des muttersprachlich englischen Sprachraums.

Dementsprechend ist ein zentrales Argument der Befürworter der Anglophonisierung die Notwendigkeit, sich an die internationalen Rahmenbedingungen einer global wettbewerbsfähigen Wissenschaft anzupassen. Schon 1986 hat Hubert Markl, der damalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, diesen Zusammenhang wie folgt formuliert: „Die Spitzenforschung spricht Englisch“, eine nationalsprachig verfasste Wissenschaft sei international nicht mehr wettbewerbsfähig. Daneben finden sich aber auch universalistisch gesinnte Argumente für das Englische, ermögliche es doch schon jetzt de facto auf globaler Ebene Kommunikation und Verständigung, bis hin zu der Überlegung, ob seine globale Verbreitung es nicht bereits zu kulturneutralen lingua franca gemacht habe. Zudem würden durch eine einheitliche Wissenschaftssprache solche Forschungsergebnisse allgemein sichtbar, die Mehrsprachigkeit für viele Forschenden bisher unzugänglich gemacht hätte.

Gegner verweisen auf die Hegemonialität sowohl des dieser Entwicklung zugrunde liegenden ökonomischen (und damit auch: gesellschaftstheoretischen) Modells als auch seiner regionalen bzw. nationalen Provenienz: Englisch sei alles andere als kulturneutral. Darüber hinaus werden aber u.a. auch gnoseologische Argumente vorgetragen, die – im Kontext der These von der linguistic relativity – darauf verweisen, dass Sprache mit Weltzugängen und damit Erkenntnisweisen gekoppelt sei: Einsprachigkeit bedeute eine Verknappung der Erkenntnisdimensionen, um nicht zu sagen: ihre Eindimensionalität. Schließlich sei die gesellschaftliche Frage zu stellen, wie die Kommunikation zwischen Wissenschaft und regional- bzw. nationalsprachlichen Öffentlichkeiten noch herstellbar seien, wenn jene sich endgültig anglophonisiere. Vertreter dieser Position setzen sich daher nachdrücklich für den Erhalt und die Förderung einer mehrsprachigen Wissenschaft ein.

Soweit der Istzustand des Themas. Die ihn prägenden Argumente will die Konferenz sichten und einen bisher vernachlässigten Aspekt hinzufügen, nämlich den, dass die involvierten Kollektive an den prognostizierten Entwicklungen unterschiedlich teilhaben und der Grad ihrer Betroffenheit variiert. Welche Kollektive sind das und über wie viel Handlungsmacht verfügen sie, um als Gewinner und Verlierer aus dem Ganzen hervor zu gehen? Wie ist ihr Selbstverständnis und wie argumentieren sie ihre Ansprüche?

An erster Stelle steht wohl das Kollektiv der Wissenschaftler, das in verschiedenartige Segmente aufzuteilen ist. Zu nennen wären Natur-, Geistes- und technologische Wissenschaften; Ordinarien und Mitarbeiter; Dozenten und Studierende; Herausgeber führender wissenschaftlicher Zeitschriften und Sammelwerke und über Sein und Nicht-Sein urteilende Peers. Je nach Segment und Disziplin ist man entweder Akteur oder Opfer unterschiedlicher Versprachlichungsstrategien wissenschaftlicher Publikationen – bzw. beides gleichzeitig –, wobei die Positionen entweder karrierebezogen, disziplinär oder epistemologisch begründet werden. Ein einheitlicheres Kollektiv bilden Verlagshäuser und Privatunternehmen, die Rankings und Indizes auf Basis anglophon dominierter Datenbanken erstellen, sowie Hochschulleitungen, die auf Basis dieser Daten die Internationalisierung ihrer Institutionen vorantreiben. Das mehrfach subdifferenzierte Kollektiv der Politiker spielt ebenfalls eine nicht unerhebliche Rolle, wenn es um die Sprachlichkeit der Wissenschaft resp. die Erhaltung einer nationalsprachlich verfassten gegenüber einer anglophonen Wissenschaft geht. Auch hier gehen die Bruchlinien quer durch alle Parteien und politische Ausrichtungen. Für alle diese Kollektive dürfte sich der Primat des Englischen als Weltwissenschaftssprache in den einzelnen Ländern unterschiedlich auswirken.

Die Tagung wird in folgende vier Themenblöcke unterteilt sein:

  • Bildungsökonomie und die Sprache der Wissenschaft
  • Englisch als „Lingua franca“ einer globalisierten Wissenschaft
  • Englisch als Sprache der akademischen Lehre in Deutschland
  • Mehrsprachigkeit in der Wissenschaft und Sprachenpolitik

Weitere Informationen zu der Konferenz

Über Alexandra Stang

Doktorandin im Bereich Interkulturelle Wirtschaftskommunikation (IWK) und Lehrbeauftragte für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik/Auslandsschulwesen und Planungs- /Organisationskompetenz im MA Studiengang "Auslandsgermanistik/Deutsch als Fremd- und Zweitsprache" und Lehramtsergänzungsfach am Institut für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und Interkulturelle Studien an der Universität Jena sowie Lehrbeauftragte im Modul "Cultural Studies / Introduction to Cultural Theory" an der Karlshochschule International University in Karlsruhe
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